Madhu Frank von Flinkfuß

von Adroth Rian

Bereits seit ein paar Jahren hielten Shin und ich Ausschau nach einem jungen Kätzchen, das wir adoptieren könnten. Lange Zeit hatte sich die Möglichkeit einer Adoption schlichtweg nicht ergeben; zudem machten wir uns Sorgen darum, was unsere ältere Katzendame Arty zu einem Familienzuwachs sagen würde und zögerten.

Als wir es schließlich akzeptierten, dass die Adoption eines weiteren Fur-Babies in naher Zukunft eher nicht erfolgen würde, wurden wir von einer schwarz-weißen Tigerlake aus unserer Komfortzone gerissen.

Alles begann in der letzten Juniwoche 2022. Da teilte Shin mir nach der Arbeit mit, dass ein dicker Köttelhaufen in der Lagerhalle seiner Arbeitsstelle entdeckt wurde. Er und seine Kollegen vermuteten, dass sich zwischen den Paletten irgendein Tier verstecken könnte. Ein Marder oder eine Katze. Es war aber durchaus denkbar, dass der wilde Besucher die Halle bereits wieder verlassen hatte.

Am späten Vormittag des 29. Juni erreichten mich ein kurzer Satz von Shin via WhatsApp: "Wir haben nen Minikatzi in der Halle." Die Katzen-Mama, eine bekannte Streunerin im Industriegebiet, hatte sich zu diesem Zeitpunkt wohl noch in der Nähe der Halle aufgehalten.

Noch am selben Nachmittag entschieden Shin und ich, das Kätzchen aus der Lagerhalle zu befreien. Wir klapperten alle Baumärkte in der Umgebung nach Lebendfallen für Marder ab und hatten tatsächlich Glück. In einer Hornbach-Filiale wurden wir fündig, fuhren zurück zu Shins Arbeitsstelle und legten Köder aus. Nun musste die Falle nur noch zuschnappen.

Am Abend wurden wir zunehmend nervös. Es bestand ja immer noch die Chance, dass das Kitten seinen Weg zu seiner Mama gefunden hatte. Aber was ist, wenn es morgen früh in der Falle säße? Was würden wir dann tun? Nach seiner Mama schauen? Die Familie vereinen? Oder es zum Tierarzt bringen und abchecken und versorgen lassen? Es danach ins Tierheim geben oder adoptieren? Man denkt ja immer, dass man weiß, was man will. Wir waren doch schon so lange auf der Suche nach einem Kätzchen. Aber so? Von jetzt auf sofort? Ohne, dass wir uns darauf richtig einstellen konnten?

In der Nacht stürmte und regnete es stark. Auch in Remseck. Als Shin zur Arbeit aufgebrochen war, hatte sich das Unwetter wieder gelegt. Ich war an diesem Morgen sehr erschöpft und entschied, eine Stunde länger zu schlafen. Um 5 Uhr 44 weckte mich eine WhatsApp-Nachricht: ein Foto, gefolgt von Shins Anruf.

Ich war noch etwas wackelig auf den Beinen, als ich die Transportbox vorbereitete, einen Tierarzt-Notdienst in Ludwigsburg anrief und mich schließlich aufbruchsbereit machte. Kurze Zeit später stand Shin bereits mit der Marderfalle und dem sich darin befindenden gefleckten Miniwesen in unserem Flur.

Die Mutter des Katzis war nicht mehr auffindbar gewesen. Shin hatte nach ihr geschaut und gehofft, dass er ihr das Kitten vielleicht noch zurückgeben könne. Der Sturm jedoch schien die Katzen-Mama und das Geschwister-Kätzchen, das bei ihr war, vertrieben zu haben. Seit dem wurden die Beiden nicht mehr im Industriegebiet gesichtet und wir hoffen, dass es ihnen gut geht.

Nun hatten wir aber das Minikatzi im Käfig. Auf zum Tierarzt also! Das Kitten von der Falle in die Katzentransportbox umzusiedeln erwies sich viel einfacher als gedacht und keine fünf Minuten später waren wir bereits unterwegs nach Oßweil.

Auf dem Weg zum Tierarzt hatte das vollkommen eingeschüchtert kleine Ding sein Stimmchen wiederentdeckt und uns das Auto zusammengebrüllt. Wir waren uns nicht ganz sicher, aber vom Gesicht her vermuteten Shin und ich, dass es sich bei dem Kitten im einen Kater handelte.

In der Tierklinik angekommen musste Shin vorerst wieder zurück zur Arbeit fahren. Ich dagegen meldete das kleine Wesen an und nahm im Wartezimmer Platz. Überfordert und etwas aufgewühlt schrieb ich meinen Chefs, dass ich aufgrund der oben genannte Ereignisse erst viel später ins Büro kommen würde. Meine beiden Chefs waren mega lieb und verständnisvoll. "Lass dir Zeit", hieß es von ihnen: "Leben retten hat Vorrang."

Während ich da also mit dem Kätzchen wartete, nutzte ich die Zeit, um einen schönen, geschlechtsneutralen Namen dafür auszusuchen, obwohl es doch eigentlich noch gar nicht feststand, ob es wirklich bei uns bleibt. ... Vielleicht ist es ja doch ein Mädchen und doch kein Kerle ... Am Ende blieb ich bei dem indischen Namen "Madhu" hängen, der so viel wie "Honigsüß" bedeutet. Nach einem kurzen Chat mit Shin war die Sache geritzt.

Nach einer guten Weile wurden Madhu und ich in das Behandlungszimmer hereingebeten und der kleine Vierbeiner wurde auf Herz und Nieren geprüft. Auch wurde sein Geschlecht bestimmt: tatsächlich ein junger Kater.

Madhu schien gesundheitlich fit zu sein, um eine Wurm- und Flohkur kam er jedoch nicht drumherum.

Nach dem Check-up brachte Shin uns wieder nach Hause. Er hatte unterwegs die nötige  Grundausstattung besorgt: Futternäpfe, Katzenklo, Katzenstreu, ein paar Spielsachen, Nassfutter für Babykatzen ... Und Madhu war definitiv noch ein Baby: auf gerade mal 8 Wochen hat ihn die Tierärztin geschätzt.

Zurück in unserer Bude musste Shin direkt wieder abdüsen. Ich dagegen richtete den Flur für Madhu so gemütlich wie möglich ein. Hinter der Tür im Wohnzimmer wartete bereits eine verwirrte Arty-Katze. Damit sich die beiden nicht gleich zu Beginn in die Haare kriegen, blieb die Wohnzimmertür vorerst geschlossen. Würde Madhu bei uns bleiben, mussten Shin und ich uns noch überlegen, wie genau wir die beiden Katzis zusammenführen. Fürs Erste musste Madhu mit seinem Kinderzimmer im Flur Vorlieb nehmen. Aber was trieb er eigentlich, während ich hastig sein Zimmer einrichtete?

Er hockte an der hinteren Wand der Transportbox und traute sich nicht, herauszukommen ... Da er sich nicht herausnehmen ließ – er fauchte mich an – entschied ich, ihn mit Schleck-Snack zu besänftigen. Denn Schleck-Crack – wie wir es auch zu nennen pflegen – zieht bei Arty immer. Womöglich auch bei unserem kleinen Gast?

Und tatsächlich. Nach dem Madh die Leckerei wegschnabuliert hatte, ließ er sich streicheln und fing direkt an, ganz laut zu schnurren. Eine halbe Stunde später hatte er sich endlich aus der Box getraut, tobte allerdings noch etwas, schrie und hüpfte die Wände hoch. Auch die ersten Kratzer hab ich mir von ihm eingefangen, als ich versuchte, ihn wieder aus dem Badezimmer zu bekommen, in das er durchgeschlüpft war.

Doch auch diese Aufregung legte sich bald und nicht einmal zwei Stunden nach unserer gemeinsamen Ankunft lag Madhu bereits vollgefressen und gut hydriert auf meinen Schoß und schnurrte, was das Zeug hielt.

Sein Fell war matt und die weißen Stellen darin grau. Und – oh man – roch er nach Mülltonne. Doch wie er da so knuddelig und entspannt auf mir lag, wurde mir ganz unzweifelhaft klar: der Bursche gehörte bereits jetzt zu unserer kleinen Familie.

Entzückt machte ich ein Foto von dem schwarz-weiß-gefleckten Winzling und sendete es an Shin mit den Worten: "Er wohnt jetzt hier."

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